
Aus dem Walhalla
wird das Steintor-Varieté
Paul Blüthgen, der seit 1909 das Walhalla-Theater leitete, stand Mitte der 1930er Jahre vor dem Ende seiner Theaterdirektion. Unter anderem führten die Konkurenz zum Stadttheater und Probleme mit der halleschen Stadtverwaltung im September 1934 zur Schließung des Walhallas – unter dem Protest der Angestellten und des Publikums. Begleitet wurde dies durch ein undurchschaubares Spiel der Besitz- und Pachtverhältnisse: Blüthgen verpachtete unter Zwang das Walhalla-Theater an die Stadt Halle, welche dieses erfolglos unterzuverpachten versuchte.
Trotz der Unstimmigkeiten traten in dieser Zeit einige jüdische Künstler auf, die in ihren Auftrittsmöglichkeiten zunehmend beschnitten wurden. Das bunte Licht des Varietés konnte 1935 noch einmal kurz aufflackern, bevor es im Februar 1936 kurz nach dem Tod von Direktor Paul Blüthgen erlosch.
Am 5. März 1937 erhielt dessen Witwe als Eigentümerin eine Aufforderung der Reichstheaterkammer, den Namen Walhalla abzulegen und die Empfehlung, dieses in Theater am Steintor umzubenennen. Mitten im Krieg wurde das Theater am 1. Januar 1943 unter dem neuen Namen Steintor-Varieté von den neuen Eigentümern Karl Becker und Kurt Thom unter der Direktion von Julius F. Klinkowström wiedereröffnet. Trotz der herrschenden Verhältnisse blieb die Welt des Varietés bunt. Nicht nur Künstler aus Deutschland, sondern auch aus Schweden, Holland, Italien, Frankreich und Russland traten auf. Im Programmheft vom 16. bis 31. Januar 1943 ist beispielsweise von den Vier Bolandis, Jongleuren aus Italien, oder dem Drahtseilakt der Vier Rosetti aus Italien, Russland und Holland zu lesen. Bis August 1944 − zur „totalen Mobilisierung“ – zeigte das Steintor-Varieté seine Programme und Revuen, dann wurde der Spielbetrieb in allen künstlerischen Einrichtungen eingestellt.
Bevor am 19. April 1945 mit der Kapitulation der Zweite Weltkrieg für die Saalestadt endete, musste Halle in der Nacht vom 31. März zum 1. April einen letzten großen Luftangriff überstehen, bei dem etwa 1000 Menschen starben und mehr als 3500 Gebäude zerstört oder beschädigt wurden – darunter das Stadttheater, das alte Rathaus und das Gebäudeensemble des Riebeckplatzes. Nach der kurzzeitigen amerikanischen Besatzung zog am 1. Juli 1945 die Rote Armee in Halle ein.
Noch bevor Schulen und die Universität wieder öffneten, begann das kulturelle Leben in der Stadt zu erwachen: Im Juli 1945 öffneten die Kinos, das Orchester des Stadttheaters spielte im Gartenlokal des Wittekind-Bades und im Hof der Burg Giebichenstein wurde Shakespeare aufgeführt. Nur zwei Wochen später öffnete sich auch im Steintor-Varieté wieder der Vorhang mit 14-tägig wechselnden Programmen, in denen Sänger, Musiker, Artisten, Komiker und das Steintororchester auftraten.
Im Besonderen war dieses kulturfördernde Engagement auch ein Verdienst des Kulturoffiziers Wladimir Gall, Leiter der Kulturabteilung der Sowjetischen Militäradministration der Provinz Sachsen in Halle. Mit der Wiedereröffnung ging keine künstlerische Veränderung einher. Die vielseitigen Varieté-Programme versprachen mit Titeln wie Heiter und bunt oder Knallbonbons beste Unterhaltungskunst. Auch Julius F. Klinkowström kehrte als künstlerischer Leiter des Steintor-Varietés in sein Amt zurück.
Eröffnung 1889 | 1889-1909 | 1909-1935 | 1935-1945 | 1945-1970 | 1970-1989 | 1989-1993 | ab 1993 |
Best Of | Made in Steintor